Hühnerkacke

Alle tun es – ohne Ausnahme! Und es ist befreiend: Ungeniert fluchen, was das Zeug hält. Sich mal so richtig Luft machen, den Anderen zum Teufel schicken, Gift und Galle speien. Ein Hoch auf das Donnerwetter! „Gopfrid Stutz“.

Ich weiss: Schimpfwörter haben einen verdammt schlechten Ruf und die Vulgärsprache eine himmelschreiende Macht. Stimmt! Trotzdem: Es lohnt sich einen differenzierten Blick auf die bellenden Kraftausdrücke zu werfen.

Das Einmaleins des Fluchens

Reinhold Aman – ein deutschstämmiger Chemieingenieur – gründete 1973 in den USA die wissenschaftliche Disziplin der Malediktologie, quasi die Schimpfwortforschung. Kein Witz! Die Forscher haben bewiesen: Fluchen tut gut. Der Mensch braucht ein Ventil zum Dampf ablassen, es lindert Stress, Schmerzen und dient als Selbstschutz. Schliesslich kann man ja nicht jeden töten 😉 . „Himmel Herrschaftszeiten, das ist natürlich ein Witz!“

Häufig dient das Fluchen ganz gezielt, um jemanden zu beleidigen. Die verbale Entgleisung von Joschka Fischer im Deutschen Bundestag ist legendär.: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“ Einsamer Spitzenreiter ist und bleibt aber SPD-Politiker Herbert Wehner. Sein Repertoire an derben Kraftausdrücken gleicht einem Lexikon. Hier eine kleine Kostprobe:

Flaschenkopf, Übelkrähe, Schleimer, Strolch, Gnom, Pöbelhaufen, Quatschkopf, angeschimmelter Lebegreis, Dreckschleuder, Lümmel, weissblaues Arschloch, Flegel, Gartenzwerg, Komödiant, Brunnenvergifter, Heuchler, halbe Portion, Weihnachtsmann, Schwätzer, Flasche, Pimpf, Wrack, Schulmeister. Mensch Wehner – Sie haben die Fluchkultur im Deutschen Bundestag etabliert.

Tatsächlich habe ich bereits als Kind die königliche Disziplin des Fauchens und Geiferns hautnah kennengelernt. Mein Vater kann bis heute ein „Himmel, Arsch und Zwirn“ hinaus poltern, dass einem der Atem stockt. Er ist ein liebenswerter Choleriker, der ab und an Dampf ablässt, wenn es ihm zu viel wird. Fünf Minuten später hat er es wieder vergessen und macht so, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Ganz ehrlich: Ich find’s total OK. Meiner Meinung nach sind die kläffenden, kein Blatt vor den Mund nehmenden Zeitgenossen authentischer! Schimpfen ist vielleicht unhöflich, aber so was von echt und ehrlich. PUNKT!

O-Ton Haddock: „Hunderttausende Höllenhunde“

Mein zweiter Mentor 😉  in Sachen poetischer Umgang mit Wutsprache ist Kapitän Haddock. Kennt ihr ihn? Der rauschbärtige Kapitän zählt zu den populärsten Figuren aus Hergés Comicserie „Tim und Struppi“. I love it!

„Hey, sie wild gewordene Mondrakete, können sie nicht aufpassen!“

Haddock hat extreme Stimmungswechsel, schimpft fantasievoll wie kein Anderer und schlägt seine Gegner lautstark schnauzend in die Flucht. Ein wahres Schatzkästchen an wilden Wortkombinationen, um den eigenen Blutdruck zu regulieren. Echt lesenswert!

Präfrontaler Kortex als Fluch-Kontroll-Instanz

Der vordere Teil des Stirnlappens ist sozusagen die Motorhaube unseres Gehirns. Er ist für die motorischen Funktionen zuständig, steuert und kontrolliert unsere Bewegungen. Ohne diese grossartige Gehirnstruktur sind wir nicht in der Lage zu denken, sprechen oder unsere Stimmungslage zu kontrollieren. Im Grunde das Headquarter, welches unsere individuelle Persönlichkeit und das Sozialverhalten  in sich verankert.

Was passiert, wenn dieser Mechanismus ausfällt, sieht man am Beispiel des „Tourette-Syndroms“.

Symptome dafür sind spontan auftretende sprachliche Äusserungen oder zwanghafte Bewegungen. Das können Tics wie: Augen blinzeln, Nase rümpfen, Grimassen schneiden, das Schnaufen von bedeutungslosen Lauten, das Nachahmen von Tiergeräuschen, Schimpfen oder wiederholtes Aussprechen von obszönen Schimpfwörtern sein.

Ich kann mich noch sehr gut an meine erste Begegnung mit einem Betroffenen erinnern. Der Mittvierziger machte mich gleich zu Beginn auf sein Leiden aufmerksam. Prompt passierte es: „Hühnerkacke!“ Das Wort schoss urplötzlich und pfeilschnell aus seinem Mund heraus. Ja klar: Ich bin ganz schön zusammengezuckt. Ist ja auch seltsam.

Inzwischen weiss ich auch, dass das Fluchen und Schimpfen bei Menschen mit Alzheimer-Demenz vorkommen kann. Eben immer dann, wenn das Gehirn in dieser Region geschädigt ist.

„Schimpfen ist der Stuhlgang der Seele“ – bayrisches Sprichwort

Tatsache ist: Fluchen befreit unsere Seele. Motzen und Meckern ist also genauso wichtig für unsere mentale Gesundheit wie Weinen und Lachen.

Es sei denn: Der Empfänger unserer Kraftwörter versteht keinen Spass 🙂 Ja dann: Halleluja … Auf und davon – Und das möglichst schnell!

PSST … Ich kann nicht anders … Meine Lieblings-Schimpfwörter lauten: Chotzbrocke, Halbschue und Schofseckel 🙂