Alles gut! Echt jetzt?

Der zweite Lockdown hat mich irgendwie platt gemacht. Fakt ist: Meine persönlichen Glücksmomente sind im schnöden Corona-Alltag auf ein Minimum reduziert und ich wurschtle mich irgendwie so durch. Kennt ihr sicher auch! Oder?

Auf der Suche nach Lösungen – um mein emotionales Minenfeld  zu entschärfen 😏 – habe ich jede Menge Literatur gelesen. Glücksratgeber à gogo mit Happiness-Garantie. Ich stelle fest: ein gewinnbringender Markt in schwierigen Zeiten. Hochkonjunktur für alle Life-Gurus, Pardon Life-Coaches. Und es scheint am Ende des Tages ganz simpel zu sein: „Glück ist eine Entscheidung. Ändere deine Einstellung zu den Dingen – du hast es selbst in der Hand.“ Tja, so einfach ist das: Fang endlich an zu meditieren, schreib ein Dankbarkeitstagebuch und „Think positive“.

Ich habe mir das zu Herzen genommen. Ich wollte ja auch nicht irgendwie undankbar sein oder unzufrieden bleiben. Nach dem x-ten Bestseller „Mach dich doch mal locker und das Beste draus“ fühlte ich mich immer mehr unter Druck. Und wenn’s mir einfach dreckig geht und die gutgemeinten Ratschläge bei mir genau das Gegenteil bewirken? Glücksmuffel statt Glückspilz?

Mist, mein Mindset braucht dringend ein Update: Knopf drücken, Konfetti rieseln lassen und „Don’t Forget to Smile!“.

Bedeutet doch aber auch im Umkehrschluss: „Bist du nicht glücklich, dann bist du selbst daran schuld.“ PUNKT.

Happiness-Fake-Lifestyle-Getue

Dieser endlos „High-Five-Mood“ und Selbstoptimierungswahn geht mir echt auf den Keks. Auf Instagram und Co. sind ziemlich viele Leute sowas von happy. Wild vergnügte, erfolgreiche und strahlende Menschen mit wahnwitzigen Hobbys und makellosem Aussehen.

Ich bin raus! Mir geht’s nicht gut. Was ist das für eine heile Glitzerwelt? Wie machen die das? Wo nehmen die ihre Energie her? Und was ist überhaupt los mit mir? Bin ich nicht positiv genug und plötzlich neidisch auf Leute und deren Lebensmodelle?

Randnotiz: Nicht falsch verstehen! Ich mag natürlich all die authentischen, witzigen, verletzlichen und kritischen Menschen. So macht Social Media Leben richtig Freude. Sie inspirieren mich und zaubern mir dann und wann ein Lächeln ins Gesicht 🥰!

Good Vibes + Bad Vibes = Real Life

 

In einem Interview bin ich dann über den Begriff “ Toxic Positivity“ gestolpert. That’s it! Das Kind hat einen Namen. ALLES halb so wild.

Diese „toxische Positivität“ oder noch besser „grausamer Optimismus“ – Hoppla, was für eine Umschreibung 😳 – ist der Zwang in allem das Positive zu sehen. Der Fokus ist also immer auf die Sonnenseite des Lebens gelegt und beschreibt das Phänomen zu glauben, eine ausschliesslich positive Einstellung sei das goldrichtige Lebenskonzept. Das klingt fürs Erste noch harmlos. Der starre Blick aufs Positive bedeutet aber auch alles abzulehnen, was negative Emotionen triggern könnte. Negative Emotionen sind quasi Hindernisse auf dem Weg zu einem erfüllten Leben.

„There is always the sun“

Wir können jederzeit positiv denken – ist ja auch an sich nichts schlechtes – aber häufig wird schöngeredet und dies lässt Raum für Zweifel. Mir hilft es tatsächlich nicht, so zu tun, als wäre alles toll. Papier verwandelt sich nicht in Gold. Mein Bankkonto füllt sich nicht von Zauberhand. Ach ja und positives Denken macht Menschen nicht wieder lebendig. Im Gegenteil: Es braucht hin und wieder schonungslose Ehrlichkeit, damit wir uns weiter entwickeln.

Traurig und wütend zu sein ist also ABSOLUT OK. Diese Stimmungskiller sind erlaubt und sie zu unterdrücken, ist ungesund. Wer schwierige Umstände mit dem Satz quittiert: „Reiss dich einfach mal zusammen, sieh es doch positiv und sei dankbar.“ verhindert möglicherweise, dass sich tatsächlich etwas zum Guten verändert. Natürlich steckt hinter diesem toxischen Optimismus keinerlei böse Absicht und ist eine stinknormale Reaktion. Es ist vielmehr die Unwissenheit und der Selbstschutz vor den eigenen negativen Gefühlen.

Probleme verlangen nicht immer nach einer sofortigen Lösung. Was zählt ist:  aufmerksames Zuhören und Empathie! Also keine leeren Wortphrasen hinaus ballern! Warum? … Weil zwanghaftes Glücklichsein und Glücklichmachen nicht möglich ist. 

Wer immer gefallen will – rebelliert nicht!

Ärger und Kummer kann man also nicht einfach so weglächeln. Schlechte Stimmung gehört zum Leben mit dazu. Und überhaupt: Miese Gefühle und schwierige Situationen stecken voller wertvoller neutraler Informationen, die uns früh warnen, wenn etwas nicht stimmt. Ängste weisen uns beispielsweise auf eine Gefahrensituation hin und erinnern uns daran, sich vermehrt um die psychische Gesundheit zu kümmern.

Klar: Eine positive Einstellung kann mich grundsätzlich aufmuntern oder auch beruhigen. Stimmt. An meinen „Bad Days“ höre ich auf zu kämpfen und brauche einfach mal eine Verschnaufpause. Dann heisst es für mich: auf Abstand gehen, Kaffee trinken, Joggen, laute Musik hören, Fussball gucken (YEAH!) oder Schreiben. Das ist mein Versuch zur inneren Balance zurückzukehren.

Trotzdem: Ein mieser Tag bleibt halt ein mieser Tag. Das Leben ist ein Auf und Ab und es hat Platz für jede Art von Gefühle. Wurschtegal welche!

Übrigens: Ich bin glücklich, wenn ich mein Glück mit jemanden teilen kann 😍.